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Unser zweiter Tag in St. Kanzian beginnt mit einem leckeren Frühstück, das uns Anna Jernej auf einem großen Tablett in unser Appartement gebracht hat. „Unsere“ Terrasse verhilft zu dem für uns seltenen Genuß im Freien zu frühstücken. Während der schwarze Kaffee durch die frische Milch auf Trinktemperatur gebracht wird und die frischen Kaisersemmerln mit Schinken und Käse belegt oder mit Honig bestrichen werden, stimmen wir uns auf den heutigen Tag ein. Wir wollen uns in Richtung Karawanken auf den Weg machen und eine kleine Wanderung in die Trögerner Klamm machen. Es wird uns dort jemand all das zeigen,
Gute 30 Minuten werden wir vom Klopeiner See zur Trägerner Klamm brauchen. Verfehlen können wir unser Ziel nicht, dient uns doch aus jeder Kurve und aus jeder Senke der 2142 Meter hohe Hochobir als Wegweiser. In der Nacht hat es dort oben scheinbar ein wenig geschneit, der Gipfel strahlt in der Sonne ganz weiß herunter. Wir sind, zugegebenermaßen, keine großen Wanderer vor dem Herrn und verfügen daher auch über keine spezielle Wanderkleidung. Als wir unseren Führer, Robert Matweber, das erste Mal sehen, denken wir uns insgeheim „na, der wird sich aber jetzt was von uns denken“, Halbschuhtouristen, wie wir jetzt hier auftauchen. Doch der Oberförster in Ruhestand, hochprofessionell gekleidet als solcher auch auf den ersten Blick sofort zu erkennen, scheint derartiges gewöhnt zu sein, wehrt unsere ziemlich dünnen Erklärungsversuche bezüglich Schuhwerk usw. freundlich ab und meint, es wäre schon recht, er hätte ja ohnedies keine größere Tour geplant.
Vorausschicken möchten wir vor allem für all jene, die sich in besonders engen Gesteinsformationen unwohl fühlen: Die Trögerner Klamm ist keine Schlucht, es sind auch keine metallenen Hühnersteige zu erklimmen. Was uns offengestanden auch ein wenig beruhigt. Robert Matweber geht festen Schrittes voran, läßt uns wissen, daß es in etwa 100 weiteren Metern einen geeigneten Platz für erste Erläuterungen gebe und hat kein Problem damit, daß wir sein Tempo nicht halten können. Nach 50 Metern schon hat er sich auf das unsere eingerichtet. Was uns sehr beruhigt. Denn nichts ist unangenehmer als jede Art von Eile oder Hetzerei, wenn man aufs Seele-baumeln-lassen eingestellt ist.
Die Klamm verläuft vom Norden nach Süden, beginnt unser Oberförster mit seiner Einführung, ist also nach Süden geöffnet, was die regelmäßige und starke Sonneneinstrahlung erklärt. Und das größte natürliche Schwarzkiefervorkommen Österreichs. Wir befinden uns jetzt am Beginn der 3000 Meter langen Trögener Klamm. Hier befand sich bis vor 210 Millionen Jahren eine Lagune eines Meeres, das sich von Europa bis Asien erstreckte. Die Trögener Klamm ist hauptsächlich aus Dolomit aufgebaut. Dolomit, benannt nach dem französischen Geologen und Mineralogen Déodat Tancrède Gratet de Dolomieu, der von 1750 bis 1801 lebte, ist magnesiumhältiger Kalk. Das Gestein wurde ja ursprünglich als Kalk abgelagert, wenn dann im Laufe von Millionen Jahren durch einen chemischen Prozess Kalzium in Magnesium umgewandelt wird, entsteht Dolomit. Nach einem Berg in den Südtiroler Dolomiten wird dieses Gestein Schlerndolomit genannt. Der Name „Schlern“ wird für ein fossiles Riff einer bestimmten geologischen Zeit verwendet, das aus Kalkalgen, Kalkschwämmen, Muschelschalen Korallen, Schnecken und vielen anderen Organismen aufgebaut wurde.
In Trögern herrscht mediterraner Einfluß, weshalb hier Pflanzen des Südens wachsen wie zum Beispiel Schwarzkiefer, Hopfenbuche und Manneresche; der Rotbraune Ständelwurz, eine Orchideenart, die Felsenbirne, deren weisse Blütenstände von April bis Juni aus den Hängen hervorleuchten; der Seidelbast mit rosafarbenen Blüten; der bis zu 10 cm große Stengellose Enzian, dessen blaue, selten auch weiße Glocke mit 5 Zipfeln aus dem Grün der Wiesen lugt; die Bach-Nelkenwurz mit ihren blaßgelben oder -roten Blütenblättern usw., usw. Wir nehmen uns fest vor, zu Hause all das in Lexika nachzuschlagen, damit wir ja nichts vergessen. Was wir nicht nachgeschlagen haben, sind die 110 Spinnenarten und 23 Weberknechtarten. (Das mag für viele besonders interessant sein – wir waren nicht sehr enttäuscht, daß sie nicht zu sehen waren.) Beschaulicher war da für unsere Begriffe die Vielzahl der Vögel, als deren wichtigste Vertreter uns die Gebirgsstelze gezeigt wird. Fünf Paare sollen hier, in der Trögerner Klamm, ihre Brutstätten gefunden haben. Nicht zu vergessen auch die Quelljungfer, eine ebenso schöne wie gefährdete Libellenart. Gefährdet ist auch die Alpenspitzmaus, die in den Tümpeln und Bachschluchten ihren idealen Lebensraum hat. In diese unberührte Landschaft kann und darf übrigens nicht eingegriffen werden: Mit der Unterzeichnung der Resolution von Helsinki 1993 hat sich die Republik Österreich verpflichtet, bundesweit Naturwaldreservate einzurichten. Und eines davon wurde hier im Potokgraben eingerichtet
Das Reservat ist 114 Hektar groß und der Besitzer des Waldes mußte sich verpflichten, innerhalb des Vertragszeitraumes von 20 Jahren keinerlei Holzwirtschaft zu betreiben. Oberförster Robert Matweber, auch hier ganz in seinem Element, erzählt, daß gleich nach Abschluß des Vertrages es durch Stürme Windwurfschäden gegeben hat. Die durfte man natürlich auch nicht aufarbeiten und so sind in den ersten zwei Jahren vermehrt Borkenkäferschäden aufgetreten. Da ja keine hohlen Bäume mehr geschlägert werden durften, haben sich vermehrt Nistmöglichkeiten ergeben und sich dadurch vermehrt Meisen und Spechte angesiedelt. Die hielten den Borkenkäfer wieder kurz und weil jetzt Ruhe in dem Revier herrschte, siedeln sich überall Ameisenvölker an. Und man weiß, daß ein Ameisenvolk in der Lage ist, einen Hektar Wald frei von Borkenkäfern zu halten. So stellt sich das biologische Gleichgewicht wieder ein, sodaß sich Nützlinge und Schädlinge die Waage halten. Man will ja keine Art ausrotten, auch nicht den Borkenkäfer, schließt Matweber den Exkurs in den hier so ungestörten Kreislauf der Natur. Schade nur, daß in den ausgewiesenen Gesetzen nicht auch das Jagdverbot enthalten ist.
Wir könnten jetzt „flunkern“, wie das „ein wenig Lügen“ bei uns so schön umschrieben wird, und Ihnen erzählen, daß wir den etwa einstündigen Aufstieg zum kleinen Ort Trögern, wo es neben der Kirche „Zum Heiligen Kreuz“ ein gemütliches Gasthaus gibt – zu Fuß hinter uns gebracht haben. Wir sind aber, soll es ja auch geben, ehrlich und gestehen ein, daß uns unser Oberförster Robert Matweber mit seinem dort schon vorher geparkten Auto überrascht und bequem hinaufgeführt hat. Schließlich haben wir ja noch einiges vor. |
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